Währung: Es gibt kein Grundrecht auf Bargeld

Opinion piece
Christian Odendahl
22 February 2016

Ist das Ende des Bargelds nah? Aus London betrachtet mutet die Debatte in Deutschland einigermaßen amüsant an. Nicht nur, dass der 50 Pfundschein der höchste ist (also noch nicht mal 100 Euro). Auch zahlen die Briten, wie die Skandinavier auch, fast alles mit Karte. Dass ich als Deutscher gerne 50 Pfund in bar in der Tasche habe, wird von meinen britischen Kollegen humorvoll begleitet – und hoch geschätzt, wenn im kleinen Sandwichshop der Kartenleser nicht funktioniert.

Für viele Deutsche ist Bargeldzahlung, frei nach Fjodor Michailowitsch Dostojewski, geprägte Freiheit. Aus Datenschutzgründen ist das verständlich. Wie bei der Vorratsdatenspeicherung müssen diese Bedenken gegen Sicherheitsinteressen abgewogen werden. Sobald es um den ökonomischen Sinn des Bargelds geht, bleiben viele deutsche Bargeldfans allerdings Antworten schuldig.

Hauptgrund der Bargelddebatte sei mitnichten die Jagd nach "Kleinganoven", schreibt der Ökonom Hans-Werner Sinn in einem Beitrag für die FAZ, sondern die Eurokrise und der Versuch der Europäischen Zentralbank (EZB), negative Zinsen durchzusetzen. Ja, die Finanz- und später die Eurokrise ist mitverantwortlich für die niedrigen Zinsen: hoch verschuldete Haushalte, Staaten und Unternehmen fallen als Impulsgeber für die Weltwirtschaft aus. Schwellenländer wie China – die diese Aufgabe in den vergangenen Jahren für die USA und Europa ausgefüllt haben – stoßen an ihre Grenzen. Und die USA können nicht wieder der Konsument der letzten Instanz für die Welt sein.

Ohne den Euro wäre die Krise vermutlich weniger drastisch ausgefallen – das Problem, das wir heute mit der Nachfrageschwäche in der Weltwirtschaft haben, wäre aber ähnlich. So sind es auch Japan, die Schweiz und Schweden, bekanntermaßen keine Euromitglieder, die am aggressivsten mit dem Aufkauf von Staatsanleihen und negativen Zinsen experimentieren.

Japan und die Schweiz zeigen auch, dass es kein Bargeldverbot braucht, um negative Zinsen durchzusetzen. Die Bank of Japan (BoJ) hat zum Beispiel den Banken ein Zinsmenü vorgelegt, das Bargeld unattraktiv macht, ohne es zu verbieten. Die Tresorkosten von 500- und 200-Euroscheinen, die Hans-Werner Sinn ausgerechnet hat, spielen da keine Rolle.

Die BoJ zahlt auf Bankguthaben bis zu einer bestimmten Menge positive beziehungsweise keine Zinsen, und verlangt darüber hinaus negative Zinsen. Sobald eine Bank mehr Bargeld für ihre Kunden bekommen möchte, wird die Menge an Guthaben, die Nullzinsen bekommen, um den gleichen Betrag reduziert. De facto zahlt also eine Bank auf ihr Bargeld automatisch negative Zinsen, was Bargeldhaltung ausreichend unattraktiv macht. Dieses Zinsmenü ließe sich natürlich problemlos auf (große) Privatkunden ausdehnen: Wer Bargeld abhebt, muss dafür Gebühren zahlen.

Nun werden Bargeldfans einwenden, dass dies genau eine solche Art von Einschränkung von Bargeld ist, die sie ablehnen. Doch greift diese Argumentation viel zu kurz. Denn das Problem der Weltwirtschaft bleibt ungelöst: Wie sollen die Investitionsschwäche und die Sparschwemme auf der Welt in Einklang gebracht werden? In dem Moment, wo zu viele beginnen, (Bar)geld zu horten, hört Geld auf, ein gesellschaftlich sinnvolles Sparvehikel zu sein.

Das deutsche Modell funktioniert nicht für die ganze Welt

Deutsche Staatsanleihen gelten nach Geld als das sicherste Aufbewahrungsmittel. Da die Nachfrage nach Staatsanleihen sehr hoch ist, sind die Zinsen auf 2-jährige Anleihen bei minus 0.5 Prozent angekommen – und lagen auch lange vor QE (also dem Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB) unter Null. Ist das unfair, Enteignung? Nein, es zeigt, dass der Welt sichere und renditebringende Sparformen fehlen. Ein Recht auf einen positiven Zins gibt es in einer Marktwirtschaft nicht, und damit auch kein Recht, sein Erspartes unbegrenzt in Bargeld zu horten. Sparen kann man nur, wenn auf der anderen Seite jemand investieren möchte.

Was also ist die Alternative? Das bisherige deutsche Modell, im Vertrauen auf Nachfrage aus dem Ausland Exportüberschüsse (also Ersparnisexporte) zu erzielen, kann für die Welt als Ganzes nicht funktionieren. Länder wie Deutschland müssen selbst Investitionsmöglichkeiten für ihr Erspartes schaffen. Das Problem niedriger Zinsen einfach zu exportieren, darf keine Lösung mehr sein.

Zentralbanken weltweit müssen aggressiv Nachfrage erzeugen. Der Weg über Zinssenkungen, normalerweise erfolgreich, hat sich als zu schwach erwiesen – auch weil die Zentralbanken zu langsam waren – und ist langsam am Ende. Der Kauf von Aktien und anderen Privatpapieren sowie ein klareres Bekenntnis zu einem aggressiven Kurs wären vermutlich zielführender. Gegen niedrige Zinsen soll aggressivere Geldpolitik helfen? Für den linker Ideen unverdächtigen Nobelpreisträger Milton Friedman war die Sache klar: "Niedrige Zinsen sind generell ein Zeichen, dass Geldpolitik zu restriktiv war; hohe Zinsen, dass sie zu locker war. Ich dachte, der Denkfehler, lockere Geldpolitik mit niedrigen Zinsen zu assoziieren, sei tot. Anscheinend sterben alte Irrtümer nie."

Welche Rolle spielt der Staat?

Die Schulden von Ländern, Haushalten und Unternehmen könnten mittels Schuldenschnitten und Insolvenzen reduziert werden. Leidtragende wären dann allerdings diejenigen Sparer, die ihr Geld in solche Kredite bereits investiert haben – allen voran deutsche, die auf ihr Auslandsvermögen seit der Finanzkrise bereits 500 Mrd. Euro verloren haben.

Zu guter Letzt muss man die Rolle des Staates als Investor in einem solchen Zinsumfeld neu diskutieren. Als die Schuldenbremse eingeführt wurde, lagen Zinsen für deutsche 10-jährige Staatsanleihen um vier Prozent, heute nur noch bei 0.25 Prozent. Der Staat sollte mehr private Ersparnisse aufnehmen und selbst investieren, sinnvolle Projekte gäbe es ausreichend. Oder die Regierung könnte, sofern jemand den Staat als Investor ungern sähe, über schuldenfinanzierte Steuergeschenke das Geld unter die Leute bringen (gerade für die unteren Einkommensschichten, die es eher ausgeben, anstatt es zu horten). Die USA haben damit in 2009 erfolgreich experimentiert.

Die Verfechter von Bargeld haben einige gute Gründe für ihre Haltung. Allerdings ist es zu einfach, der EZB die Abschaffung aus niederen Motiven vorzuwerfen. Es ist der Auftrag der Zentralbank, Sparwillen und Investitionsbereitschaft wieder zusammenzubringen. Immer mehr Bargeld beziehungsweise Bankguthaben zu horten, als Sparvehikel, kann für eine Gesellschaft als Ganzes nicht funktionieren, es braucht Investitionen in gleicher Höhe. Daher ist die Diskussion um das Bargeld nur ein Seitenarm einer viel größeren (und wichtigeren) Diskussion: Wie erzeugen wir gesamtwirtschaftlich ausreichend Nachfrage, in Deutschland, Europa und der Welt? Diese Diskussion wird in Deutschland viel zu wenig geführt.

Christian Odendahl is chief economist at the Centre for European Reform.